Jeden Sommer bricht für die meisten von uns eine ganz besondere Jahreszeit an: die Festivalzeit. Je nach Interesse oder auch Musikgeschmack finden sich eine Vielzahl von Festivals auf der ganzen Welt. Dieses Jahr war ich mit Bine auf dem Yogafestival Xperience – und eine Erfahrung war es allemal. Ich darf noch nicht zu viel verraten, aber wir waren höchst inspiriert, verschiedene Arten von Marktzelten zu recherchieren. Denn was passt besser zusammen als Festivals und Dreadpflege?
Dreadlocks und Yoga: Diversity ist Trumpf
Wir betreten also am Mittwoch, direkt zum Beginn der ganzen Sause, das Gelände von dem größten Yogazentrum Europas in Bad Meinberg und werden direkt von einem sitzenden Shiva begrüßt. Der hinduistische Gott mit dem Dreadlocks ist dabei weit mehr als ein Kultobjekt auf Goa-Parties. Jeder kennt die Sadhus in Indien: meistens handelt es sich um Swamis, also Mönche, die Shiva zu Ehren Dreadlocks tragen. Dem Mythos nach hielt Shiva den vom Himmel brechenden Ganges (der heilige Fluss in Indien) mit seinen Haaren auf und hat deswegen Haare wie Wellen.
Das aber nur als kleiner Exkurs. Denn ob und welche Götter oder Göttinnen verehrt werden und was das mit Dreadlocks zu tun hat, ist nochmal ein ganz anderes Thema und vor allem viel zu spannend, um es in einem kleinen Artikel anzureißen. Hm…müsste man ein Buch drüber schreiben… Schon bei dem ersten Spaziergang über das Festivalgelände begegnen uns einige Dreadheads. Und alle von ihnen hatte einen ganz eigenen Style: es gab die 100 % Natural Dreadlocks, denen man ansah, dass sie niemals eine Häkelnadel gesehen haben und es auch in Zukunft nicht werden, die Hippie Dreads, wie ich sie nenne: ein bisschen stürmisch, aber gepflegt. Die sehr fein durchgehäkelten Locs und die Dreadlocks mit spirituellem oder religiösem Hintergrund.
Das ist tatsächlich kein gestelltes Bild, sondern ein Schnappschuss der eines ganz wunderbar zeigt: das harmonische Miteinander. Aber es gab sie, die Blicke. Viele Dreadheads kennen sie, manche ertappen sich selbst dabei: der Vergleich. Unwillkürlich vergleicht man die eigenen Locs mit denen von anderen und in den meisten Fällen gefallen die Dreads der anderen einem meist besser. Aus irgendeinem Grund möchte man vielleicht doch lieber natürliche Dreads oder eben ganz ordentliche, verzierte oder mit SideCut. Das ist erstmal ein relativ harmloses Phänomen, nur schade um den eigenen Seelenfrieden. Denn: die Dreads, die du grad auf dem kopf trägst, sehen an dir, so wie du bist, perfekt aus. Niemand sieht mit deinen Dreadlocks so schön und wunderbar aus, wie du.
Das tolle an Dreadlocks ist die Individualität und der „Spirit“, den du ihnen gibst. Es gab da so eine kleine Gang, ich nenne sie mal „DreadGirlGang“, weil es irgendwie fancy klingt. Das letzte mal ist mir so eine Gang auf dem Schulhof vor tausenden von Jahren begegnet. Eine Gruppe von 4-5 Mädels, geschlossene Einheit, mit diesem Hang zum Lästern. Und zwar so, dass du es mitkriegst. Nun bin ich persönlich ein paar Donnerstage aus der Offenheit für solch einen Affront hinaus und konnte mir daher in Ruhe die Frage stellen: Warum? Auf die ein oder andere Weise verbinden wir doch alle Dreadlocks mit Individualität und einem alternativen Lifestyle. Woher kommt dann diese Arroganz? Ist das nicht irgendwie genau das Gegenteil?
Yoga bedeutet Harmonie
Nur weil man Dreadlocks hat, bedeutet das natürlich nicht, dass wir alle best Friends sein müssen. Die besagte Vielfalt bedeutet ja eben, dass wir alle unterschiedlich sind und auch verschiedene Interessen haben. Die einen hören Reggae, die anderen Metal, wieder andere singen vor allem Mantras und manche haben mit Musik gar nichts und finden einfach Dreads toll. Was uns alle auf dem Xperience Festival verbunden hat, war Yoga und das Interesse an der Bedeutung dahinter: Harmonie. Sei es der Einklang von Körper, Geist und Seele, von einem selbst in der Außenwelt oder von uns und unseren Mitmenschen. Harmonie bedeutet, dass man sich nichtmal mögen muss und dennoch einfach koexistieren kann. Aber genug von dem moralischen Zeigefinger. Kommen wir nun zu dem Punkt, der einige besonders interessieren dürfte:
Die DreadFactory backstage und privat
Ich war nämlich nicht allein auf dem Xperience Festival, sondern hatte Bine dabei.
Die Gründerin der DreadFactory ist nämlich auf die Yogamatte gekommen und was bietet sich mehr an, als fünf Tage voller Yogastunden, Konzerte und Vorträge, um tiefer in das Thema einzusteigen? Bine als sehr bodenständiger Mensch musste allerdings dabei einiges ertragen. Da ich nun bereits seit einigen Jahren in der Yogaszene bin, zucke ich nicht mehr so hart zusammen, wenn jemand davon spricht, sich von Licht zu ernähren. Man gewöhnt sich eben an das ein oder andere Geschwurbel und kann eine gewisse Faszination für wissenschaftliche Aspekte in solchen Aussagen entwickeln. Bine wäre allerdings fast ihr nachgesalzenes Kitchery aus der Hand gefallen.
Stattdessen klaut man eben Äpfel 😉 Aber keine Sorge, das war auf diesem Festival üblich und erlaubt. Auf dem Marketplace, auf dem wir uns mit Vorliebe aufgehalten haben, konnte man sich an den Bäumen bedienen. Ach ja: die Bäume sind sehr klein und tief gewachsen. Nur falls ihr euch wundert… Die Bäume stehen auf dem „Marketplace“, wo wir uns mit Vorliebe aufgehalten und spontan ein-zwei Handstände mit der AcroYogalehrerin Lucie Beyer gemacht haben. Hier haben wir auch sowohl eine Journalistin, als auch eine Bewerberin für die DreadFactory getroffen. Fast hätten wir jemanden „von der Straße weggecastet“, weil ihre Dreads so toll waren - solltest du dich angesprochen fühlen, bewirb dich ;)
Ich mag es, wenn Begegnungsräume entstehen und es nicht mehr darum geht, ob jemand Dreadlocks hat oder supi-dupi-Einhorn-spiri ist, sondern man gemeinsam Sachen ausprobiert und dann auch einfach wieder getrennte Wege geht. Nicht jede Begegnung muss die beste Freundschaft werden, aber warum sollten wir uns nicht gegenseitig inspirieren oder für einen Moment eine Gemeinsamkeit genießen?
Ein weiteres, kleines Geheimnis über Bine ist ihre Vergangenheit als Turniertänzerin. Das bedeutet nicht nur, dass sie elegant Äpfel pflückt, sondern auch sehr ambitioniert Yoga macht. Ich muss gestehen, dass ich mir etwas Sorgen gemacht habe, als wir in der ersten Yogastunde waren. Die ersten 15 Minuten verbrachten wir nämlich damit, uns auszuschütteln und „unser Herz nach rechts zu verschenken… nach links zu verschenken… nach hinten zu verschenken…“ und so weiter. Es gibt da so eine feine Linie beim Yoga. Ich steh voll auf den ganzen Liebe-verschenken und Selbstliebe-Kram. Echt. Love for all!
Aber wenn ich mich irgendwann lächerlich fühle und befürchte, dass Bine gleich schreiend aus dem Zelt läuft, ist diese feine Linie überschritten. So auch wenn am Abend die Band eine Stunde überzieht, völlig im Rausch, und ich mir nicht mehr sicher bin: im Rausche des Mantrasingens oder im Rausche des Applauses? Da versuche ich Bine die wunderbare Welt der Mantras näher zu bringen (ich steh drauf) und dann das. Ein bisschen zu süß, zu lieblich, zu glatt und ich denke an ein Zitat von Lysander aus Shakespeares „Ein Sommernachts Traum“: „Doch wie nach allzu vielem Zuckerguss, der Magen häufig sich erbrechen…“. So reizend, dass es langsam im Halse würgt. Wusstest du, dass Bine früher eher bei „Rockharz“ oder „Wacken“ war?
Aber es gab sie, die Stunden in denen auch eine Latein-Turniertänzerin ins Schwitzen kam. Jivamukti und Qi Gong sind auf jeden Fall Bereiche, in die es sich lohnt, tiefer einzutauchen. Denn wenn eine Bodenständigkeit auf Wissen trifft, wie bei Petros Haffenrichter und Hang-Ho Kim, passiert genau das, was andere dann „Liebe nach rechts, links, oben, unten verschenken“ nennen: es entsteht Ruhe, Harmonie, bei der es nicht mehr darum geht, wer wie die Dreads trägt. Sondern um das Einatmen, das Ausatmen und diesen feinen Moment dazwischen, in dem man wirklich ein wenig Liebe verschenkt. Vielleicht auch sich selbst.
Dreads und Veganismus
Veganismus und Aktivismus waren auf dem Festival ein großes Thema. Yoga und Veganismus gehören für viele Menschen zusammen. Der Aspekt der Gewaltlosigkeit, "Ahimsa" in Sanskrit, spielt dabei die größte Rolle. Deswegen war das Festival auch vegan ausgerichtet. An dem Buffett im angeschlossenen Seminarhaus fand Bine dann die Kuhmilch und gab glücklich einen Schluck Demeter Milch in ihren Sojakakao. Einige Veganer werden nun aufschreien. Ich lebe selbst tierproduktfrei und möglichst nachhaltig und musste an Björn Moschinski denken, der einen Tag vorher in der Vegan-Talkrunde sagte: „Wir sollten nicht das hervorheben, was jemand an Fleisch isst oder Milch trinkt. Anstatt zu verurteilen sollten wir bestärken.“ Das ist für mich Ahimsa, die Gewaltlosigkeit. Ich verstehe wirklich den Frust über die Behandlung von Tieren in unserer weltweiten Gesellschaft. Das meine ich ganz allgemein: der Mensch neigt zur Verrohung seiner Umwelt gegenüber. Aber anstatt gegen etwas zu sein können wir auch für etwas sein. Da macht der Schluck Demeter Milch aus Genuss einen wichtigen Unterschied für und nicht gegen etwas. Dreads und Veganismus gehören nicht zwingend zusammen. Dreads und Nachhaltigkeit auch nicht. Aber vielleicht können wir ja auch unabhängig von einem Lifestyle mehr Liebe zu allen Seiten verschenken und schauen, was draus wird?
Geh mir aus der Aura!
Da ich grad in Schwung bin: Sexismus in der Yogaszene. „Du hast Dreads und einen Bergkristall um den Hals und bist voll Hippie und hast dann Markenunterwäsche? Das ist voll nicht authentisch.“ Sprach es mit seinen verkifften Augen und überschritt jegliche Grenzen. Aber es ist leider ein Problem in der Yogaszene geworden, dass unter dem Deckmäntelchen der „Kuschligkeit“ ein Kuss auf die Wange geschmatzt und zu intim umarmt wird, dass die Privatsphäre -andere mögen es Aura nennen – völlig ignoriert wird, wenn durch das Leinentop das Label des Bustiers durchblitzt. Aber man betrete bitte weder die Aura, noch die Privatsphäre von anderen ungefragt. Nicht im Yoga. Nicht sonstwo.