Wenn sich jemand bei uns als DreadstylistIn bewirbt, schauen wir zunächst immer nach dem Standort: gibt es dort genügend KundInnen? Besteht Interesse? Wie gut ist die Verkehrsanbindung? Als Vicky damals zur DreadFactory kam, erweiterte sie das Team Berlin. Denn ganz klar: Berlin hat zum einen jede Menge Menschen und ist zum anderen super bunt und aufgeschlossen. Nun zieht Vicky um. In die Provinz. Darin sieht sie eine riesen Chance!
Vicky, wer bist du? Was machst du so, wenn du nicht gerade die Häkelnadel schwingst?
Ich heiße Viktoria, bin gerade noch so 30 Jahre jung und bin DreadlockStylistin bei der DreadFactory seit März 2019. Dazu bin ich Bachelorette of Arts in Musik, Kunst und Medien und habe ergänzend dazu gerade meine Ausbildung zur Erzieherin (blödes Wort. Gras wächst auch nicht schneller, wenn man daran zieht ? Beziehungsgestalterin und Kindshelferin ist mir lieber) abgeschlossen. Juhu! Ich begleite momentan Kinder zwischen 1.5 und 6 Jahren dabei, die Welt und sich selbst zu entdecken. Psychomotorik, Entspannung für Kinder und Musik sind meine Steckenpferde. Menschen und ihre Geschichten, Ganzheitlichkeit und Kreativität sind es, was mich begeistert. Ich bin Sopranistin, tanze HulaHoop, spiele verschiedene Instrumente, fühle mich von klassischer Musik bis Electrobummbumm zu Hause und möchte noch soooo viel mehr machen.
Wie bist du zur DreadFactory gekommen?
Das war ungefähr so: Dreadlocks? Super schön eigentlich. Kann ich nicht auch erstmal ein paar Dreads haben? Gesagt, getan, ich habe sie machen lassen. Aber ich mag doch auch Knibbelarbeiten – kann ich das nicht selbst? Klar! Ein wenig unter wahnsinniger Motivation recherchiert, die ersten Experimentierköpfe gefunden, vier Jahre Dreads geübt und semiprofessionelle Dreadstylistin geworden und dann bin ich nach Berlin gekommen. Weil ich schon lange heimlicher Fan der DreadFactory war und Bine (unsere DF-Gründerin) ein Modell für eine Fernsehdokumentation gesucht hat, hab ich mich darauf beworben – und wurde genommen. Bine und Lea haben mir vor der Kamera meine Unterhaardreads erstellt und dabei erzählte ich, dass ich dabei sein möchte. Knapp ein Jahr später war es dann soweit – ich bin Teil der DreadFactory Familie. Gut Ding will Weile haben!
Was bedeuten dir Dreadlocks?
Ich war noch nie so zufrieden mit der Situation auf meinem Kopf bis zum dem Tag, an dem ich Dreads bekam – sie bringen meine Persönlichkeit mehr nach außen, lassen mich noch lieber in den Spiegel schauen, lassen mich selbst mehr erkennen. Machen mich sichtbarer. Sie lassen sich so vielseitig kreativ verändern. Ich weiß das für mich sehr zu schätzen. Außerdem haben sie einen symbolischen Charakter für mich – Verbundenheit mit Minderheiten. Freiheit. Individualität. Zusammenkommen.
Was bedeuten Individualität und Freiheit für dich?
Symbolisch stehen für mich Locs für Individualität und Freiheit. Diese beiden Begriffe vereinen für mich selbstbestimmt Leben zu können und auch zu dürfen. Es bedeutet ein Nest zum Wohlfühlen und nach Hause kommen zu haben, in dem niemand es komisch findet, wenn ich meinen Tag mit Yoga und HappyDance starte und als Sopranistin in einem klassischen Chor singe und das, obwohl ich Dreadlocks trage… Fehler gefunden? Ich nicht! Freiheit ist, meine Individualität in einem Umfeld auszuleben, wo ich Gleichgesinnte treffe und mir ohne Vorurteile begegnet wird. In der Natur sein. Kein Zeitgefühl haben. Am Lagerfeuer sitzen, aus dem Zelt krabbeln und nackt in den See springen. Ein Fleckchen Erde zum Pflanzen und Hängematte baumeln haben. Einfach so sein können, wie ich bin. Keine Angst um Morgen haben. Innere Ruhe besitzen können.
Du ziehst also raus aus Berlin… hörst du als Dreadstylistin auf?
Auf keinen Fall! Mein Ziel ist es, durch den Umzug mehr für mich wichtige Lebensqualitäten hinzuzugewinnen – nicht welche aufzugeben. Ich bleibe euch als Dreadstylistin mit Leib und Seele erhalten. Nur mein Standort ändert sich. Hoffentlich als Bereicherung für meine Heimatregion. Hallo Mecklenburg! Kommt mich gern besuchen!
Warum ziehst du weg?
Ach, das hat einige Gründe. Zum einen bin ich auf dem Land aufgewachsen. Die Reise ging dann vom Umzug in eine Kleinstadt in eine Stadt in eine Großstadt bis zur Metropole Berlin. Was ich für mich erfahren durfte ist: Heimatgefühl und Naturverbundenheit. Das Stadtleben fühlt sich für mich nicht richtig an. Es ist laut, anonym, zu viele Reize, zu viele vorgegebene Wege, zu viel Beton. Ich wünsche mir wieder mehr Kleinheit, persönliche Begegnungen mit eigentlich Fremden, kurze Wege und Vogelgezwitscher mitten auf dem Marktplatz. Es ist die Sehnsucht nach dem Ankommen in der kindlichen Nostalgie – Heimatgefühle eben. Außerdem kann und vor allem möchte ich mir das Leben in der Stadt einfach nicht leisten. Beruflich gesehen tue ich Dinge, die mir finanziell nicht ermöglichen, mir ein für mich passendes Nest mieten zu können. Und ich fühle das „ich werde das finden, was ich mir wünsche“ in Berlin einfach nicht. Also weg hier. Wenn ich nach Berlin möchte, um das vielfältige Stadtleben zu genießen, fahre ich eine Stunde mit dem Zug hierher und kehre in meine (noch leistbare) Höhle zurück und freue mich auf die hochgeklappten Fußwege ab 20 Uhr. Herrlich. Zu guter letzt – gibt es nicht schon genug Freigeister in Berlin? Ja! Davon kann es nie genug geben. Aber in provinzielleren Gebieten wird es Zeit für mehr Diversitätsbewusstsein und Buntheit. Mehr Alternativität im Sinne von zukunftsorientiertem und enkelfreundlichem Bewusstsein auch außerhalb von Ballungsgebieten! Eine spannende Herausforderung mit hoffentlich einigen anderen gemeinsam ein Umdenken anstoßen zu können. Denn zu hohe Mietpreise und der Stadtfluchtgedanke bringen nicht nur mich dazu, das Umland von Berlin zum Wohnen und Leben aufzusuchen – kommt mit! Noch ist es bezahlbar.
Du sprichst von einer Herausforderung. Hast du damit bereits Erfahrungen?
Also eines steht fest – Berlin macht es einem leicht. Du darfst alles sein und nach allem aussehen, was du dir wünschst. Vielfalt ist Normalität. Angepasstheit mitunter nicht mal erwünscht. Das Unsichtbarsein in der Masse schnell getan. Das alles würde ich gerne in einen Koffer packen und über meine Heimat regnen lassen. Auf dem „Land“ wird es sicher anders werden. Eine Herausforderung? Ja, ich denke schon. Es macht mich aufgeregt und ein wenig ängstlich, aber gleichzeitig habe ich mich bereits entschieden mir treu zu bleiben – denn so richtig angepasst war ich noch nie. Ich gelte schon immer als ein wenig rebellisch und mache das, was mir gefällt. Und diese Einstellung hilft in jedem Fall dabei, den möglichen Herausforderungen zu begegnen. Ich denke, es ist essentiell, im Dialog sein zu wollen, in den Kontakt zu gehen mit Menschen, die mir mit Vorurteilen begegnen und vor allem eine offene und positive Einstellung zu bewahren. Veränderungen brauchen Zeit. Und ich habe einfach Lust, mir meine eigene kleine Lebenswelt zu schaffen – dazu gehört nicht, allen gefallen zu wollen, sondern authentisch zu sein und meine Einstellungen zu leben. Wenn es andere Menschen inspiriert und ich etwas vorleben kann, ist das schön. Und mal ganz ehrlich – auf „das Land“ ziehen bedeutet nicht, dass es dort keine Menschen, insbesondere junge Leute, gibt, die auch schon was von einem bewussten, diversitären, alternativen oder nachhaltigen Leben gehört haben. Mecklenburg ist ein Mekka für non-kommerzielle Festivals! Das Immergut, das 3000 Grad, das Natürlich Irre und die Fusion! Dahinter stehen Menschen, die in der Region leben und wirken. Die und alle anderen werde ich schon finden. Vernetzung findet eben vor Ort statt.
Glaubst du, dass du durch deinen Job als Dreaderin einen positiven Einfluss nehmen kannst?
Na klar! Ich denke, Veränderungen finden erstmal in einem selbst statt – und Dreadlocks bekommen zu wollen hat erfahrungsgemäß häufig den Grund sein Innerstes nach Außen kehren zu wollen. Mehr Authentizität. Mehr Einstehen für sich selbst. Mehr Individualität zum Ausdruck bringen. Bei dem Enstehungsprozess unterstütze ich gern – wir verbringen Zeit miteinander, reden und lernen uns kennen, sind in Konakt miteinander. Es findet ein sehr privater Austausch statt. Das verbindet und trägt sich weiter. Gleichzeitig verändert sich oft die Wahrnehmung – Je mehr Gleichgesinnte du dann auf der Straße triffst, desto mehr Verbundenheit entsteht wieder. Dreadlocks haben so viele unterschiedliche Bedeutungen für den oder die Einzelne*n. In jedem Fall bedeuten sie Symbolik von etwas anderem als den Mainstream. Und wenn Dreadlocks so normal geworden sind, dass sie Mainstream wurden, hat es für mich auf jeden Fall positiven Einfluss genommen.
Das neue Jahr wird also aufregend für dich beginnen! Was würdest du dir wünsche für 2020?
Ich freue mich wahnsinnig auf das neue Jahr! Was ich mir wünsche ist, mit Ruhe und Gelassenheit und einem sanften Übergang in meine Heimat ziehen zu können und gleichzeitig den letzten Monat in Berlin mit froher Abschiedsstimmung zu verleben. Ende Januar ist mein Geburtstag, das Ende meiner Ausbildung und der Umzug. Mecklenburg, ich wünsche mir, dass du mich mit offenen Armen empfängst. Ich wünsche mir Ankommen, neue Herzmenschen und viele neue Dreadheads. Ich wünsche mir natürlich auch offene PädagogInnen, die Kinder mit einem ressourcenorientierten Blick auf Augenhöhe begegnen. Und auch, dass dieser Transfer unter uns Erwachsenen auch mehr und mehr ankommt – ein Umgang mit flachen Hierarchien in Wertschätzung, Achtsamkeit und einem positiven Blick. Ja, heile Welt im Kleinen. Das wäre toll. Ich wünsch mir also den Freiraum nach außen so leben zu können, wie es sich in meinem Inneren anfühlt.
Vielen Dank, Vicky! Ich baue darauf, dass du eine Hängematte für mich bereit hältst, denn ich werde sicherlich bei dir vorbeischauen… I mean: nackt in den See springen, spätestens da hattest du mich!
Vicky ist Dreadstylistin in Neustrelitz - wenn du mehr über sie und ihre Arbeit erfahren möchtest, schau doch gern auf ihrem DreadFactory-Profil vorbei.
Für Terminanfragen erreichst du sie per Mail unter vicky@dreadfactory.de