Um mal direkt aus dem Nähkästchen zu plaudern: seit ich ein Kind war wurde ich gefragt, ob ich denn ein Junge oder ein Mädchen sei. Ganz abgesehen davon, dass es mir schleierhaft war, was wildfremde Menschen mit dieser Information anfangen könnten (sprich: hä?), mache ich mir seitdem Gedanken, was denn nun genau „weiblich“ ist und was „männlich“. Hosen? Gezupfte Augenbrauen? Make Up? Haarige Achseln? Es ist schon schwer, wenn die Hipster von heute nicht mehr ganz genau auf Gender-Roles achten und somit viel schwieriger klar zu definieren sind. Und abgesehen davon gibt es dann auch noch das dritte (und vierte und fünfte und…) Geschlecht. #transinklusivefeminism
Mannlein, Weiblein und alles dazwischen
Dreadlocks scheinen mir in diesem Zusammenhang androgyn zu sein: sowohl Frauen als auch Männer tragen sie lang, kurz, halb rasiert, geflochten, offen oder gefärbt. Mir selbst fällt oft auf, dass ich, wenn ich mir Bilder anschaue, oft bei Frisuren hängen bleibe, die von Männern getragen werden. Andererseits bin ich, seit ich selber Dreadlocks trage, viel weiblicher. Was nu?
Gender, gender, trallala
Aber vorneweg: was ist androgyn eigentlich genau? Und wieso gibt es mittlerweile „gender“ und „Geschlechter“ und „genderqueer“ und was hat das alles mit Dreadlocks zu tun?
Androgyn bedeutet, dass jemand äußere Merkmale beider Geschlechter, also sowohl männliche als auch weibliche Attribute besitzt. „Geschlechter“ werden hierbei die biologischen, bei „gender“ die sozialen Merkmale benannt. „Genderqueer“ bedeutet, sich weder dem einen noch dem anderen Gender zugehörig zu fühlen – oder beiden. Oder dem dritten Geschlecht. Um einen kurzen, aber wichtigen Exkurs einzubringen: es gibt Männer mit einer Vulva und Frauen mit einem Penis, oder gar beidem. Und das ist gut so. Und: was geht es denn jemanden an, was ein anderer Mensch in der Buchse trägt?
Dreadlocks sind genderneutral. Irgendwie scheint die gesellschaftliche Schubladenordnung noch nicht bei den Locs angekommen zu sein, denn wenn man in einem Friseursalon steht (zugegeben: tut man seltener als Dreadhead), fällt einem erstmal auf, dass es unterschiedliche Preise gibt (what the fish) und auch unterschiedliche Schnitte. Das ist erstmal soweit so konditioniert. Ich frage mich allerdings, wenn ich jetzt als Frau einen Männerhaarschnitt bekommen möchte: zahle ich dann den männlichen oder den weiblichen Preis?
Bei Dreadlocks scheint es viel mehr um individuellen Ausdruck zu gehen. Zwar tragen viele Männer eher dickere Dreads und Frauen gerne dünnere, doch wie es mir scheint, hält es sich die Waage. Es wird weniger vorher gefragt „Männer- oder Frauendreads?“, sondern „eher dick oder eher dünn?“ oder bei Profis: „Zu deiner Kopfform passen hier dünnere Dreads besser, ich würde sie aber am Hinterkopf etwas dicker werden lassen“. Das hat nichts mit Gender, Geschlecht oder vorheriger Schubladisierung zu tun, sondern mit dem Unterstreichen der eigenen Persönlichkeit beziehungsweise der Kopfform und der weiteren Dreadplanung.
Wikinger und Amazonen
„I was not ladylike, nor was I manly. I was something else altogether. There were so many different ways to be beautiful.“
Wie gesagt habe ich meine Kindheit und Jugend eher geschlechtneutral, androgyn, verbracht. Kurze Haare schienen mir einfach praktischerer als jemand, der keine Lust hat, jeden Morgen die Haare zu stylen. Mit zunehmendem Alter ging es mir irgendwann auf den Nerv, immer wieder mein Geschlecht zu erklären, gleichzeitig führte die ständige Fragerei auch dazu, dass ich mir Gedanken darüber machte, was denn nun genau „weiblich“ oder „männlich“ ist. Ich trug oft Friesen für Jungs – was vor allem damit zu tun hatte, dass ich beim Friseur automatisch als männlich eingestuft wurde und somit den geringeren Preis zahlen durfte. Ratsching! Doppelt praktisch also.Trotzdem ließ mich die Frage nicht los, was denn nun „weiblich“ sei. Erst Jahre später, als ich meine jetzigen Dreads machte, merkte ich, dass sich langsam aber sicher eine Ahnung einer Antwort darauf in mir formte. Und entgegen aller Erwartung hatte sie weniger mit meinem Äußeren zu tun oder dem Preis beim Friseur, sondern damit, dass ich als Mensch in mir und meinem Körper ankam.
Mittlerweile habe ich viele Geschichten von Dreadheads gehört, die sich, seit sie Dreads haben, mehr wie sie selbst fühlen. Männer werden zum Wikinger, ganz gleich, wie stark ihre Muskeln sind, weil sie von allein eine innere Kraft ausstrahlen, Frauen erwecken geradezu ihre inneren Amazonen. Oder ihre Wikingerin. Oder die männliche Walküre. Was auch immer in ihnen schlummerte. Denn das wunderbare an der Dread-Welt ist für mich, dass die Frisur nicht definiert, wer du bist, sondern dir Raum gibt, dich zu entfalten. Es gibt keinen Herren- oder Damenhaarschnitt, keinen spezifischen Schmuck. Und trotzdem schaffen es Dreads und Dreadperlen die Persönlichkeit des Tragenden zu unterstreichen. …also ich finde das faszinierend.
Dreadheads, emanzipiert euch!
Beziehungsweise, bleibt emanzipiert. Noch hat der Geschlechterrollenwahn in der Dreadwelt keinen Fuß gefasst und ich persönlich würde es schön finden, wenn es so bleibt. Natürlich sind Dreadlocks nicht nur einer Szene zugehörig, sondern werden unterschiedlich assoziiert. Aber überall sind die Dreads genderneutral und androgyn zugleich. Sie beinhalten quasi eine Fülle von Möglichkeiten und Facetten, die zum Ausdruck kommen wollen.
Mittlerweile werde ich eher selten gefragt, ob ich denn nun ein Mann oder eine Frau sei. Und ich persönlich genieße die Bandbreite der Gender. Und ja: wenn das Frauenklo wegen Überfüllung geschlossen ist, gehe ich auf das Männerklo. So. Das hat nichts mit Dreads zu tun, sondern muss mal gesagt werden: der Bedarf an Toiletten für Frauen ist offensichtlich höher als der für Männer, wie wäre es also wenn die Pink Tax (ja ja…) dazu genutzt werden würde, mehr Pinkelmöglichkeiten für Frauen zu schaffen?